TOPOLNO
2010 mit finanzieller Unterstützung des Beauftragten für Kultur und Medien der deutschen Bundesregierung und der Deutsch-Polnischen Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz als Maßnahmenträger restaurierte Sauer-Orgel.
Die wertvolle historische Sauerorgel in der ehemaligen Paulinerkirche Topolno war stark restaurierungsbedürftig und kaum mehr bespielbar gewesen. Dank der Initiative und fachlichen Unterstützung des Baltischen Orgel Centrums in Stralsund, der finanziellen Hilfe des Beauftragten der deutschen Bundesregierung für Kultur und Medien und der Einbindung der Deutsch-Polnischen Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz als Maßnahmenträger gelang es, das noch weitgehend authentisch überkommene Instrument 2010 denkmalgerecht zu restaurieren.
Das Dorf Topolno liegt in einer idyllischen Landschaft der Weichselniederung gegenüber der uralten Stadt Kulm (Chelmno) im alten Westpreußen. Es liegt an der Grenze zwischen Pomerellen, das zwischen den beiden Weltkriegen dem Polnischen Korridor zugeordnet war und dem Kulmer Land (altpreußische Landschaft) nahe des westlichen Weichselufers in der Woiwodschaft Kujawien und Pommern. Das Dorf ist dem Landkreis Powiat Swiecie (Schwetz) zugehörig. Nach Pruszcz (Prust) sind es knapp 8 Km, Kulm (Chelmno) 36 Km, Bromberg (Bydgoszcz) rund 30 Km, Thorn 70 Km und Danzig (Gdansk) 145 km.
An den Weichselwiesen bei dem heutigen Dorf Topolno ließ der Besitzer der dortigen Güter, Jan Konarski 1588 eine hölzerne Kirche als neues seelsorgerisches Zentrum errichten. Damals herrschte die Adelsrepublik Polen-Litauen und schenkte der Patron der Kirche ein Gnadenbild, wodurch diese den Titel Sanktuarium der Gottesmutter der Genesung der Kranken in Topolno erhielt. Bis 1681 wurde die Kirche, finanziert durch die Brüder Konarski zu einem Kloster für den Pauliner-Orden erweitert. Die ersten Mönche dieses marianischen Ordens kamen drei Jahre später aus dem Wallfahrtsort Jasna Góra in Tschenstochau, dem größten Marienheiligtum in Mittel- und Osteuropa. 1686 ist die erzbischöfliche Bestätigung der Stiftung der Brüder Konarski datiert. Nachdem die Kirche in der Folgezeit um den Hauptaltar, zwei Nebenaltäre und die Orgel reicher wurde – letztere datiert von 1694 und das Instrument hatte vermutlich Matthäus Brandtner aus Thorn geschaffen – wurde sie 1718 neu geweiht. Als Weihgabe erhielt die Kirche von König Wladislaw IV. eine Marienkrone. Bis zur Zeit der ersten polnischen Teilung erlebte das Sanktuarium eine Zeit der Blüte. Nach Auflösung des Pauliner-Ordens 1811 ging das Kloster in Vergessenheit und wurde wüst. In der zweiten Hälfte des 19. Jhs. kam es in Topolno zu einer leichten Belebung des Marienkults, die Pilgerbewegung ebbte jedoch infolge der Germanisierungsbewegung schnell wieder ab. In den Jahren 1894 bis 1911 wurde die gesamte Ausstattung der Kirche einer umfassenden Restaurierung unterzogen. Hinzu kamen der Einbau neuer Glasmalereifenster und 1900 eines neuen Orgelwerks der Firma Wilhelm Sauer aus Frankfurt/Oder als Opus 823. Sauer behielt den alten Prospekt mit den (nun stummen) Prospektpfeifen von 1694 bei und passte sich in seinen Windladenabmessungen exakt den Prospektmaßen an. Die Pfeifen haben auch merkwürdigerweise die Beschlagnahme des Jahres 1917 überdauert. Vor Zerstörung in den beiden Weltkriegen blieb die Kirche in Topolno gänzlich verschont.
Im Jahr 1983 wurden silberne Weihgaben und die Krone der Gottesmutter aus der Kirche entwendet. Fünf Jahre erfolgte in Topolno die bischöfliche Weihung einer neuen Marienkrone. Seit 1992 werden wieder Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten in der ehem. Paulinerkirche durchgeführt. Neben der Kirche haben sich keine anderen Klosterbauten erhalten.
Der wohlproportionierte einschiffige längsrechteckige Kirchenbau ist samt seiner reichen architekturgebundenen Ausstattung aus dem 17. und 18. Jh. vollständig erhalten geblieben. Die repräsentative Westfassade des überwiegend ziegelsichtigen und von einem ummauerten Friedhof umgebenen Baues weist das für barocke polnische Wallfahrtskirchen charakteristische Doppelturmmotiv auf. Ablesbar sind an der mit Vorhalle ausgestatteten Westseite, in der weiß verputzten oberen Fassadenzone, jedoch ebenfalls Übergangsformen aus der Renaissance wie die Gesimse und der Mittelgiebel. Der Chor ist eingezogen und weist sich außen durch die Strebepfeiler und innen durch ein zweijochiges Kreuzgewölbe als ältester Bauteil aus. Eine weitere Vorhalle auf der Südseite und ein auf dem steilen Schiff-Satteldach nach Osten plazierter Dachreiter tragen zu der reizvollen Staffelung der Baumassen bei.
Das Schiff wird von einer hölzernen Muldendecke überspannt. Der Hauptaltar mit seinen beiden Nebenaltären und die Kanzel zeigen seit ihrer Restaurierung eine einheitliche barocke Schwarz-Goldfassung. Die (noch) davon abweichende grünliche Fassung vier weiterer an den Längswänden des Schiffs aufgestellter Nebenaltäre (u.a. Nebenaltar St. Anton und der Schutzengel) entspricht der des Orgelprospekts und dürfte von um 1900 datieren. Der barocke Orgelprospekt ist außergewöhnlich reich dekoriert. Vom Inventar noch erwähnenswert ist ein barocker Tragaltar des Hl. Johannes Nepomuk.
Der infolge der großen rundbogigen Buntglasfenster (u.a. mit Darstellungen der Hl. Barbara und des Hl. Rochus) mit viel Licht durchflutete Innenraum wirkt durch den sich durch die weiß verputzten Wände, die holzsichtigen Ausstattungsteile und das schwarz, gold und grünlich gefasste Inventar ergebenden Farbkontrast besonders festlich.
Wiederbespielbarmachung der Sauer-Orgel
Spezifikation der Sauer-Orgel in Topolno:
Pneumatische Kegelladen, Magazinbalg mit Schöpfern im Untergehäuse und Faltenkanal, Elektrowinderzeuger
Registeranzahl: 9
Disposition: Vierstimmiges Manual (54 Tasten von C-f´´´), zweistimmiges Pedal (27 Tasten von C-d`), Pedalkoppel, Tutti
Der romantische Klangcharakter des Instruments spiegelt die Zeiten seiner Herstellung gemäß den damaligen Orgelbauvoraussetzungen wider.
Die Orgel ist ein vollständig erhaltenes denkmalgeschütztes Instrument der Firma Wilhelm Sauer, Frankfurt/Oder und mit ihrer Disposition ein typisches und auf polnischem Gebiet inzwischen sehr selten gewordenes Beispiel einer äußerst gediegenen Dorforgel dieser Firma. Die Orgel besitzt die unverwechselbaren Merkmale der qualitativ erstklassigen und dauerhaften Fertigungsweise der Firma Sauer. Die besondere Klangqualität und geradezu gerade zu symphonische Ausstrahlung des Instruments in der ausgezeichneten Akustik des Kirchenraums ermöglicht auch die Durchführung anspruchsvoller Orgelkonzerte.
Die Prospektpfeifen gehören zu den wenigen in Polen, deren originale Intonations- und Stimmungsspuren in außergewöhnlich guter Weise erhalten sind. Die nicht zum Sauerschen Klangkonzept gehörenden Prospektpfeifen sind ein wichtiges Dokument der barocken Klangkunst und können stumm und unberührt bei künftigen Rekonstruktionen barocker Orgeln aus der Thorner Tradition als Vorbild dienen.
Der außergewöhnliche Wert der Orgel beruht auf ihrer Homogenität und Erhaltung ihres ursprünglichen Zustands. Die günstige geografische Lage prädestiniert die Kirche in Topolno als eine Ausflugskirche für Konzertbesucher.
Das Instrument war zuletzt nur noch begrenzt bespielbar und eine respektvolle Instandsetzung dringend notwendig. Dieser Zustand war das Resultat über Jahrzehnte fehlender regelmäßiger und vor allem sachkundiger Pflege. Die Orgel präsentierte sich im Herbst 2010 noch stark verschmutzt und wies Spuren aktiven Holzwurmbefalls auf. Laienhafte Reparaturversuche mit Farbe oder Kitt sollten vergeblich Holzwurmschäden an den Holzpfeifen beheben. Ein Teil der Metallpfeifen präsentierte sich deformiert und verbogen. Bei gedeckten Metallpfeifen war die Lederdichtung z.T. am Deckel durch Papier ersetzt. Die gesamte Spielanlage war nach über 100jährigem Gebrauch extrem abgenutzt und verschlissen. Der Spieltisch wies stark ausgespielte Klaviaturen und artfremd ersetzte oder beschädigte Registerwippen auf. Der Faltenkanal war durch abgerissene und mürbe Belederung undicht.
Entgegen dem Vorschlag einiger polnischer Orgelbauer, die Sauer-Orgel umzubauen, Innenpfeifen neu anzufertigen und die heutige Disposition zu ändern, wodurch das Instrument in seinem historischen Wert und seiner dauerhaft hochwertigen Konstruktion unweigerlich zerstört worden wäre, wurde lediglich eine vorsichtige Reparatur und Regenerierung bzw. Ergänzung verschlissener oder fehlender Teile vorgenommen.
1. Demontage, Reinigung des gesamten Orgelwerks, Holzschutzbehandlung
2. Balg- und Kanalanlage
Fachmännische Reparatur des Magazinbalgs mit Schöpfern und Faltenkanal, Lieferung und Anschluss neuer Elektrowinderzeuger (Fabrikat Laukhuff), Installierung im bestehenden Schutzkasten neben der Orgel, Reparatur der Kanalanlage in originaler Art (Leder und Knochenleim)
3. Windladen
Durchsicht aller Teile, Reinigung und Reparatur, präzises Einjustieren der Kegelventile
4. Ton- und Registertraktur
Durchsicht, Überprüfung der Bleirohre auf Dichtigkeit, Reparatur defekter und Ergänzung fehlender Teile, Reinigung und Durchsicht des Spieltisches, Ersatz aller Lederteile in Ton- und Registertraktur nach historischem Muster
5. Spielanlage
Sorgfältige Restaurierung der Manual- und Pedalklaviatur, neue Beläge der gesamten Manualklaviatur nach Sauer, Anfertigung von drei fehlenden und einer zerbrochenen Registerwippe nach Sauer-Vorbild, Neuanfertigung fehlender kleiner Schildchen unter den Wippen, optische Aufarbeitung des Spieltisches einschließlich der Holzoberflächen
6. Pfeifenwerk
Durchsicht und Reinigung der Holzpfeifen, Austausch wurmzerstörter Teile, Stabilisierung aller Holzpfeifen (Festigung der Innenseite der Pfeifen durch Ausgießen mit Leim), Ausrunden beschädigter Metallpfeifen, Reparatur von Mündungen, Richten der Stimmvorrichtungen
7. Montage Intonation
Montage der gesamten Orgel, Überprüfung des Winddrucks, Intonationskorrekturen. Stimmung in vorgefundener Tonhöhe (ca. 438 Hz bei 15 Grad Celsius)
8. Schriftliche Dokumentation der Arbeiten
In dem erreichten reparierten, regulierten und richtig gestimmten Zustand sollte die Sauer-Orgel der Kirchengemeinde Topolno wieder viele Jahrzehnte ohne größere Reparaturen dienen. Für liturgische und kammermusikalische Zwecke ist die Orgel der Topolnoer Kirche in einer perfekten Weise angepasst.
- Ausführung der Maßnahme: Orgelwerkstatt Christian Scheffler, Alte Petershagener Straße 4, D–15236 Jacobsdorf OT Sieversdorf
- Eigentümer und Bauherr: Kath. Kirchengemeinde Topolno (Parafia Rzymskokatolicka p.w. Nawiedzenia NMP, Topolno 46 PL– 86-120 Pruszcz), vertreten durch Pfarrer Andrzej Regent
- Fachbegleitung der Maßnahmen: Baltisches Orgel Centrum (BOC) Stralsund e.V., Krzystof Urbaniak und Martin Rost, jeweils Organist und Orgelsachverständiger, Marienstraße 10, D–18439 Stralsund
Die Finanzierung der Maßnahme erfolgte mit von der Deutsch-Polnischen Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz als Maßnahmenträger von vom Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) eingeworbenen Mitteln, die 55 Prozent der Kosten abgedeckten, einer zweckgebundenen Spende des Baltischen Orgel Centrums Stralsund e.V an die Deutsch-Polnische Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz sowie mit Eigenmitteln in Höhe von 35 Prozent der Kosten und Eigenleistung.